Kommentar von Hildegard Schütz

Abtreibung ist kein Grundrecht

Mit der Erklärung der Kommission zur Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuchs beschreitet die Ampelregierung eine völlig neue Dimension in der Verschiebung von Menschenwürde und Recht auf Leben. Die bisherige Unterscheidung von Unrecht und Strafe und der Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen, wie sie in § 218 StGB geregelt ist, soll abgelöst werden durch eine staatlich nicht mehr sanktionierte Regelung, die Abtreibung gefährlich nahe in ein bisher so in der deutschen Verfassung nicht grundgelegtes „Recht auf Tötung“ rückt. Passt die Verpflichtung des Staates zum Schutz des Lebens mit einer gänzlichen Tilgung aus dem Strafrecht zusammen? Wird die unantastbare Menschenwürde nicht stattdessen unter dem Deckmantel angeblicher moderner Erkenntnisse und Lebenszusammenhänge einer Form von Rechtsentwicklung unterworfen, die sich selber ad absurdum führt? 75 Jahre Grundgesetz haben dies weder erlebt noch erlaubt.

Abtreibung ist kein Grundrecht und Tötung bleibt Unrecht. Eine Streichung des § 218 wäre verfassungswidrig und sendet das falsche Signal, so als seien Menschenwürde und Lebensrecht von menschlicher Zu- oder Aberkennung je nach Umständen oder Zeiten abhängig. Das einzige moralisch-ethische Konzept, das den Menschen in seiner Würde bejaht und anerkennt, ist das uneingeschränkte Lebensrecht von Anfang an bis zu seinem natürlichen Ende. 

In der Erklärung „Dignitas Infinita“ (Nr. 47) und seiner Enzyklika „Evangelii Gaudium“ (Nr. 213) warnt Papst Franziskus sehr deutlich: „Wenn diese Überzeugung hinfällig wird, bleiben keine festen und dauerhaften Grundlagen für die Verteidigung der Menschenrechte.“ Daher sind sowohl das Entfallen der Beratungspflicht als auch Änderungen von Fristen zu Lasten von Ungeborenen von Seiten der Regierungskoalition aus christlicher Sicht absolut unannehmbar. Auch erschließt sich die von der Kommission angeführte Notwendigkeit von Änderungen nicht, da die geltende gesetzliche Beratungspflicht nicht nur zumutbar, sondern hinsichtlich der Abwägung der Lebensgüter ein Minimum an Verpflichtung auferlegt. Ein Grundgesetz, das die Menschenwürde allen übrigen Grundrechten voranstellt, hat in den Bürgern den Wert von Unantastbarkeit wachzuhalten und nicht zu relativieren.

Hildegard Schütz ist Vorsitzende des Diözensanrats der Katholiken im Bistum Augsburg

24.04.2024 - Bistum Augsburg